Medi[t]ation | Text by Dr. Shintaro Miyazaki

The Value of the Present Moment – initiiert und choreographiert durch den Medienkünstler Marc Lee, der bekannt ist für seine hochtechnischen, netzbasierten Medieninstallationen – ist im Kontext einer künstlerisch-intuitiven Verdauung des Augenblicks, des Moments als „Jetzt“ im Zeitalter der Echtzeitmedien entstanden. Dieses Jetzt dauert mindestens dreissig Millisekunden und maximal drei Tausend Millisekunden, also drei Sekunden, wie es der renommierte Psychologe Ernst Pöppel in seinem Buch Grenzen des Bewusstseins beschrieb.[1]

Im Vergleich zu den bisherigen Arbeiten von Marc Lee zeigt sich The Value of the Present Moment eher schlicht als Webcam-Installation, die nur über das www besucht werden kann. Es geht um den spirituellen Moment der Gegenwart, der durch Meditation erreicht werden kann: Echtzeit und Meditation. In der Meditation geht die meditierende Person in den Moment des Jetzt. Sie verschmilzt sozusagen mit der Welt im spirituellen Moment des Jetzt-Seins. Das bewusste Verweilen im Moment der Gegenwart als Zustand der Erleuchtung und Überwindung von Raum und Zeit referiert dabei auf die Hippie-Bewegung, die für ihre Forderung nach anti-autoritären und de-hierarchisierten Welt- und Wertordnungen, ihre Naturverbundenheit und nähe zur Spiritualität bekannt ist. Marc Lee setzt diese kulturelle Bewegung aus der Vergangenheit als Gegenpol zum aktuellen Wahn und Versprechen einer konstanten Gegenwärtigkeit, die dem Drang nach Effizienzsteigerung, User-Optimierung und Scheintransparenz geschuldet ist. Eine „Posthippie-Performance“, die am Tag der Online-Schaltung inszeniert und Live über die Webseite übertragen wurde, holte die vergangene Hippie-Luft wieder in die Gegenwart. Dies jedoch nur für eine paar Momente. In den folgenden Wochen hängt die Webcam oberhalb der Performance-Stätte kopfüber in den Bäumen. Es sind nur noch die Spuren der Performance sichtbar. Dem Besucher wird ein Gefühl des Verpasst-Habens vermittelt.

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Wenn sich die Schlange in den Schwanz beisst. „Loop“ von Esther Hunziker | Text by Dr. Yvonne Volkart

„One hundred years ago Thoreau wondered: „Even if the telephone company succeeded in connecting people in Main with people in Tennessee what would they have to say to each other?” The rest is history.“[1]

Ich sitze am Computermonitor und starre sich bewegende, ineinander fliessende, mutierende Farbmuster an. Die Bewegungen sind ruckartig, stoppend-fliessend, rhythmisch aufflackernd, wie ein Fernseher früher nach Sendeschluss, wie Webcambilder, die im Netz übertragen werden eben. Sie oszillieren, delirieren, ziehen mich hinein in etwas, das kein Raum ist, sondern nur Fläche, Veränderung, Dynamik. Festgebannt bin ich und will nur noch schauen, schauen. Sehr viel später betätige ich einen der interaktiven Cursor, die sich zur Betätigung der Webcam auf der Internetseite befinden. Sogleich gleitet etwas im Bild hinauf oder hinunter, rechts und links, sofortige Änderung der Farben und Muster. Aber: Habe ich tatsächlich eine Webcam bewegt? Und: Sind das wirklich deren Bilder? Es ist eher eine Halluzination. Unendlich lange starre ich, navigiere ich, bis plötzlich ein Kameraauge mich anschaut. Schnell drücke ich auf den Fotoapparat und mache ein Bild für das Archiv.

So liesse sich die Erfahrung beschreiben, die man mit Esther Hunzikers für die Ausstellungs- und Publikationsplattform Collective View. On Real-Time Webcam Images neu produzierter künstlerischer Arbeit macht.[2]  Loop basiert technisch gesehen auf einer Video-Rückkoppelung, das heisst auf einer geschlossenen Feedback-Schleife, bei der die mit einem Monitor verschaltete Kamera ihr eigenes Bild aufnimmt. Dieses Bild wird wieder an den Eingang zurückgegeben, neu aufgenommen und unendlich weiter so. Als akustisches Phänomen, als sogenannte positive Rückkoppelung, sind Rückkoppelungseffekte relativ bekannt: Wenn sich ein Mikrofon (Eingangssignal) zu nahe am Lautsprecher befindet (Ausgangssignal), gibt es einen durchdringenden Pfeifton, der immer lauter wird, weil sich das System aufeinander bezieht und gegenseitig verstärkt. Und genau das, nämlich einfach zu schauen, was passiert, wenn das Ausgangssignal auf den Eingang geschaltet wird, war für Esther Hunziker der Ausgangspunkt. Die ansonsten stets nach Aussen gerichtete, parasitär am Leben der anderen teilnehmenden Webcam sollte in sich selbst verkehrt werden und eine Maschine bilden, die “ihre eigenen Operationen” (Luhmann) aufbaut und sich selbst bespiegelt: Eine Versuchsanlage, die die Beobachtung der Beobachtung der Beobachtung in Szene setzt, eine Operation, die zu keinem Ende kommt, die den fortdauernden Prozess, die permanente Gegenwart performt. „Autopoietische Systeme können ihre Strukturen nicht als Fertigprodukte aus ihrer Umwelt beziehen. Sie müssen sie durch ihre eigenen Operationen aufbauen und das erinnern – oder vergessen.”[3]

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Eine Frage des Blicks. “in reality” von Kasia Klimpel | Text by Dr. Doris Gassert

Unser Blick richtet sich auf ein Bild, dessen diffuser Inhalt sich im Takt der Sekunden bewegt. [Abb. 1/2] Wir kneifen die Augen zusammen, rücken den Kopf näher an den Bildschirm, und schon werden wir in den Bildraum hineingezogen. Unser Blick gleitet quer durch transparent überlagerte Bildschichten, deren ineinander verwobenen Motive sich ruckartig bewegen. Schicht um Schicht versuchen wir,die verschiedenen Ebenen des Bildraums zu entschlüsseln. Ein Aquarium? Ein mit Wolken durchzogener Himmel? Eine hügelige Berglandschaft, eine Wiese, Wind. Feine weisse Linien, die auf einmal wild durch das Bild blitzen – und undefinierbar bleiben. Technische Bildstörungen, vielleicht? Auch eine Bildebene, mindestens, ist lediglich wahrnehmbar als schleierhafte abstrakte Figuration, irgendwo im ungreifbaren Dazwischen. Klar als Fisch erkennbar ist dafür ein plötzlich im Bild herumschwirrender Farbklecks. Er schwimmt, ruckartig, im Aquarium, in den Wolken, über die Hügel, durch das Gras. Und verschwindet so plötzlich, wie er aufgetaucht ist.

Diese gleichermassen abstrakte wie poetische Bilderwelt verdanken wir der polnischen Künstlerin Kasia Klimpel. Ihr Online-Projekt in reality, welches auf der Plattform www.collective-view.ch ausgestellt und online erfahrbar gemacht wird, nutzt Webcambilder als Ausgangsmaterial für eine künstlerische Transformation, deren Funktions- und Wirkungsweise an die Prozessualität des Digitalen geknüpft ist. Für in reality hat Klimpel mehrere Dutzend Webcams aus der ganzen Welt ausgewählt, die ihre bewegten Echtzeitbilder über das World Wide Web für jedermann über eine URL frei zugänglich machen. Bei jedem Zugriff auf die collective-view Webseite oder bei deren Aktualisierung werden von einem Algorithmus jeweils vier davon zufällig zu einer Bildkomposition kombiniert. Durch Transparenz und Überlagerung entstehen künstlerisch verfremdete Bilderwelten mit aussergewöhnlichen Oberflächen, und – je nach Kombination – mit mal dechiffrierbaren, mal geheimnisvoll abstrakten Bildtiefen, die zur intensiven Betrachtung einladen. Read more…

ON REAL-TIME WEBCAM IMAGES

The negative implications of webcam technology became apparent on 21 March 2007 when Kevin Whitrick committed suicide in a chat room in front of rolling cameras. People present in the chat room commented on the event as it unfolded. Descriptions of what had been seen compe- ted for attention with requests to contact the police, who arrived at the crime scene just two minutes later. However, all help came too late and Kevin Whitrick was pronounced dead at 11:15 p.m. GMT. The event went down in history as the first suicide to occur in front of a live webcam. That webcam technology was responsible for affording the chat members a new visual experience is obvious to all. The experience of seeing such a private event must have had a long-term effect. Although the viewers saw the event by means of a representation of reality, at that moment they did not feel it to be a distanced reality, but a direct and immediate one. But who is to be held responsible for the creation of this image? Who holds the ownership of this image? Is it Kevin Whitrick, who availed of the webcam as a medium? Is it the Chat Service Provider, who made the technology accessible to the public? Or is it ultimately the chat participants, by whom the real-time image was first perceived, commented upon and diffused?

For information see: Article by Damian Jurt, in: Quéloz, Catherine: Actes de Recherche, Edition 2012, CCC Research- Based Master Programme critical curatorial cybermedia, Geneva University or Art and Design, 2012.

Post published on 1.7.2012.

we, the public

Analyzing and communicating with artistic means forms the core of artistic research and offers a multitude of methods and competences to public and professional spheres. The majority of artistic research projects impact on public contexts by contributing to both innovative and socially engaged solutions. Artistic research often functions as a bridge between the process of creating artworks and explaining, processing, and positioning them in a public framework. Artistic research is – more than in established fields of research – transdisciplinary and involves the public as central stakeholders. The conference we, the public invites researchers to present and discuss their work from this perspective and focus on the new forms of interaction and knowledge, methods and tools emerging from artistic research.

Workshop with Damian Jurt and Swann Thommen on 26, 27 April 2012 at the Conference We, the Public. SARN :: Swiss Artistic Research Network & Lucerne University of Applied Sciences and Arts

Here you find the Notes on the first Swiss Artistic Research Network conference We, the Public in Lucerne in 26th/27th of April 2012. In there you find two texts on the workshop www.collective-view.ch – On Real-Time Webcam Images.

Post published on 26.4.2012

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